AUTOR: PASCAL FRICK
Luca Graf, CEO der MS Direct AG, hat einen klaren Plan, um das Unternehmen als innovativster Logistikdienstleister der Schweiz zu positionieren. Durch seine grosse und langjährige Erfahrung mit Innovationen im Logistikbereich weiss er die Chancen des technologischen Wandels optimal zu nutzen. Wir wollten mehr wissen und interviewten ihn zu aktuellen Massnahmen und Trends. Im Gespräch erzählt er von Automatisierung im Warenlager, Robotik bei Pick & Pack-Prozessen, den kreativen Einsatz von Drohnen und über Schlüsselfaktoren zur erfolgreichen Etablierung von Innovationen.
Luca, als CEO bist du seit deinem Start drauf und dran, neue Prozesse zu etablieren. Was genau ist dein Plan mit der MS Direct AG?
MS Direct war bisher ein Logistikdienstleister mit IT-Kompetenzen, nun entwickeln wir uns zu einem Technologieunternehmen von Logistikanwendungen inklusiver physischer Logistik weiter. Und da sind wir bereits mittendrin – in den vergangenen 45 Jahren Betriebsgeschichte haben wir uns schon einige IT-Kompetenzen angeeignet. In dieser Zeit entstand unter anderem ein eigenes, effizientes und auf MicrosoftDynamics NAV basierendes Lagerverwaltungssystem. In Bereichen wie Automation, Robotics oder auch Webapplikationen stehen wir aber noch am Anfang der Reise. Da gehen wir jetzt gezielt weiter. Wir führen bewusst Technologien entlang der ganzen Prozesskette ein und nutzen diese, um uns am Markt noch besser zu positionieren, also effizienter und kundenfreundlicher zu sein.
«Wir tun alles mit dem Ziel, innovativster Logistikdienstleister der Schweiz zu werden – und da sind wir auf gutem Weg.»
Luca Graf, CEO
Welche Projekte wurden bereits realisiert?
Kürzlich haben wir zum Beispiel eine Software zur Automatisierung von Verrechnungsprozessen eingeführt, mit Hilfe derer wir Rechnungen schnell erstellen.Unsere Kundenbetreuer können sich so voll und ganz auf ihre Kunden fokussieren, die den Kunden mehr Transparenz geben. Und wir haben eine Cross-border E-Commerce Versandlösung für Sendungen in die Schweiz, England und Norwegen entwickelt, die führend hinsichtlich Kosten und Qualität ist. Aber auch bei internen Themen – wie der Weiterbildung – arbeiten wir daran, diese mit passenden Tools wie unserer MS Academy intuitiver zu gestalten. Wir tun alles stets mit dem Ziel, innovativster Logistikdienstleister der Schweiz zu werden – und da sind wir auf gutem Weg.
Der Wechsel zur Technologisierung lässt sich in der ganzen Branche beobachten. Welche Vorteile bringt das für die Kunden der MS Direct mit sich?
Der Grund für den Wandel in der Branche liegt zum einen daran, dass in der Logistik unheimlich viel Potenzial schlummert. Die Nutzung der richtigen Technologie kann in unserem Geschäft mit einer starken Produktivitätssteigerung und gleichzeitigen Kostenvorteilen für unsere Kunden verbunden sein. Diese Faktoren sind entscheidend in der E-Commerce Logistik. Ebenso kann mit Technologie auch das Kundenerlebnis verbessert werden – speziell im Hinblick auf Transparenz und Kommunikation. Mit den richtigen Tools können wir beispielsweise Kunden Informationen über den Status der Sendungen in Echtzeit zur Verfügung stellen oder Prognosen über den Lagerbestand machen. Es gibt bereits junge Technologie-Innovatoren, die daran arbeiten – und da möchten wir als MS Direct mitziehen.
«Robotik kann uns zu einem grossen Wettbewerbsvorteil verhelfen.»
Luca Graf, CEO
Auch Robotik spielt eine wichtige Rolle – die Innovationen in diesem Bereich nehmen stark Fahrt auf, auch in der Schweiz. Was sind die Treiber hinter diesem Wachstum?
Im Hinblick auf die Schweiz sind wir in einem Land mit höheren Löhnen und Produktionskosten. Wenn sich die Produktion auch für uns als Logistikdienstleister und andere Unternehmen lohnen soll, dann kann die Robotik zu einem grossen Wettbewerbsvorteil verhelfen. Deswegen passiert da aktuell sehr viel. Zusätzlich getriggert wird das Ganze auch durch die renommierten Institutionen in der Nähe – sei es die ETH Zürich mit ihren Innovationen oder Lausanne, wo zurzeit viele Tech- und Robotik-Unternehmen entstehen.
MS Direct investiert selbst in Robotik und hat neuerdings ein automatisiertes Hochteillager im Einsatz. Was hat zu diesem Schritt geführt und welche Herausforderungen gab es bei der Implementierung?
Ein entscheidender und erfreulicher Faktor für diese Projekt war, dass wir einen neuen grossen Kunden gewinnen durften. Dieser bringt uns eine neue Dimension an Bestellungen, die wir vorher nicht kannten – wir sprechen hier von einer fünfstelligen Zahl von täglichen Bestellungen pro Tag. Wenn man unsere anderen Kunden auch noch dazuzählt, sind es noch deutlich mehr Bestellungen am Tag. Unser bestehendes Setup mit typischem, manuellem Kommissionieren stiess bei solchen Volumen an seine Grenzen. Die erste Herausforderung war also, diese Bestellmenge mit sinnvollen Kosten abwickeln zu können. Die zweite Herausforderung stellte unser bestehender Lagerplatz dar, den es mit mehr Artikeln zu befüllen galt. Eine Gebäudeerweiterung wäre ein logischer Gedanke, doch das ist nicht immer möglich und effizient. Der Automatisierungsansatz gab uns hingegen die Chance, das Lager zu verdichten und gleichzeitig die Flexibilität beizubehalten. Das gesuchte System musste ausbaufähig sein und im Falle eines Standortwechsels umgezogen werden können.
Der Entscheid fiel auf das AutoStore-System. Wieso war das die richtige Lösung?
Wir haben uns im Vorfeld verschiedene Technologien angeschaut. Für unser Setup war der AutoStore mit seiner unschlagbaren Lagerdichte genau das richtige. Das Cube-System ist schon länger am Markt und hat sich als sehr zuverlässig erwiesen. Bei uns übernehmen jetzt 48 Roboter die Verwaltung von rund 30‘000 Kisten und unterstützen damit unsere Teams in der Konfektionierung. Da die Roboter auch nachts arbeiten, können sie späte Bestellungen für den Folgetag vorbereiten. Gleichzeitig sparen wir gewaltig an Platz: Mit dem AutoStore erreichen wir eine Verdichtung um bis zu 400 Prozent. Wohlbemerkt, das ist nur einer unserer ersten Automatisierungsbausteine entlang der Prozesskette.
Wo siehst du noch Potenziale zur Automatisierung im Warenlager?
Wir haben uns in der Vergangenheit bereits das Thema Verpackung angeschaut und seit gut zwei Jahren eine Packsize Maschine im Einsatz, die massgeschneiderte Kartons produziert. Zwar verpackt diese nicht selbst, jedoch stellt sie einen wesentlichen ersten Schritt in der Automatisierung der Kommissionierung dar. Da überlegen wir uns aktuell, ob wir auch ein Pick-AMR-System (Autonome mobile Roboter) einsetzen können oder gleich vollautomatisierte Verpackungsmaschinen. Das AMR-System ist für uns aber nicht nur im Picking-Bereich interessant, sondern auch im internen Transport von Materialien. Wir haben uns darum einen gebrauchten AMR gekauft und probieren diesen für verschiedene Prozesse aus. Das wird uns zeigen, für welchen Anwendungsfall dieses System wirklich sinnvoll ist.
Du hast in deiner Vergangenheit bereits mit Drohnen im Lagerbereich gearbeitet. Wie kam es dazu und wozu eignen sich diese?
Im Jahr 2019 kam die Drohnentechnologie für Gebäudeinterne Anwendungen auf. Damals fanden wir raus, dass sich Drohnen perfekt als Inventarcontroller eignen, die Barcodes von Paletten scannen. Wir testeten ein vollständig autonomes Produkt eines Technologie-Anbieters, das heute bereits in zehn Märkten eingesetzt wird – darunter bei Ikea. Mit den Drohnen lassen sich zum einen manuelle, repetitive Arbeiten automatisieren und zum anderen auch die Fehlererkennung verbessern. Eine falsch deponierte Palette in einem Grosslager kann unter Umständen schnell zu einer teuren Suchaktion führen. Drohnen können Lager regelmässig komplett durchscannen und Fehler finden, die dann frühzeitig behoben werden können. Es hat sich gezeigt, dass bei einer typischen Fehlerquote von 1-2 Prozent in Ländern mit hohen Löhnen die Lagerdrohnen innerhalb eines halben Jahres amortisiert waren.
Die Einführung von Innovationen in Unternehmen ist nicht immer einfach. Was sind nach deiner Erfahrung die Schlüsselpunkte, dass solche Integrationen funktionieren?
Für den Anfang ist es wichtig zu definieren, was genau die Mission ist. Geht es um Innovationen nahe am Kerngeschäft oder geht es um disruptive Innovationen, die weiter weg vom Kerngeschäft liegen – wie zum Beispiel neue Produkte oder Geschäftsmodelle. Das ist essenziell, denn je nach Mission, gilt es komplett unterschiedliche Ansätze zu wählen, entsprechende Teams aufstellen, Freiheiten zu definieren und die Nähe zur Organisation zu bestimmen.
Ein weiterer Faktor ist die Fristigkeit. Innovationen sind keine kurzfristige Sache. Um erfolgreich zu sein, braucht es eine langfristige Vision und ein geeignetes Budget. Der Erfolg von neuen Produkten und Geschäftsmodellen kommt nicht morgen, sondern er muss über Jahre hinweg entwickelt werden.
Das dritte, das ich gelernt habe, ist die Wichtigkeit der Kommunikation im Change-Management. Das bedeutet enges Stakeholdermanagement: viel mit den Leuten zusammenarbeiten, viel validieren, viel mit Kunden und den Business Sponsoren sprechen.